Sechs Antworten zu Bach²


Die Dirigentin des JVEM Julia Selina Blank beantwortet sechs Fragen zum Konzertprogramm Bach²

1. Bach im Quadrat – Was bedeutet das?

Der Titel basiert auf zwei Dimensionen, durch die die verschiedenen Teile des Programms miteinander verbunden sind. Deshalb auch die mathematische Schreibweise. Zum einen inspiriert Bachs Vokalmusik Komponisten bis in die heutige Zeit. Ausgehend von der Bach-Motette „Jesu meine Freude“ beschreiben wir in unserem Konzertprogramm einen Querschnitt von Chorstücken, die – obwohl viele hundert Jahre später komponiert – in direktem Bezug zu Bach stehen und gleichzeitig formal und inhaltlich untereinander verknüpft sind. Graphisch gesehen kann man sich also vorstellen, dass sich ein Quadrat aus vier Vertretern der Romantik und Moderne um den barocken Ursprung bildet. Zum anderen werden zwischen die Chorwerke Sätze einer Solo-Suite für Cello von J.S.Bach eingewoben. Damit entsteht ein deutlicher Kontrast zwischen mehrstimmigen Chören und der solistischen Stimme und eine zweite Klangdimension des Bachschen Stils kommt zum erklingen. Der sangliche Charakter des Streichinstruments komplementiert den Stimmklang des Ensembles .

2. Warum hast Du diese Epochen für das Ensemble ausgewählt?

Die Wahl der Epochen ist durch den Gang der Musikgeschichte bedingt. Lange nach seinem Wirken galt Bachs Werk als verschollen, erst durch Mendelssohn begann die Wiederaufführung. Somit konnten sich erst die Romantiker mit seiner Chormusik intensiv auseinandersetzen und sich darauf beziehen. Gerade dieser Bruch in der Bachrezeption macht seinen Einfluss auf die Nachwelt so besonders. Generell finde ich es interessant alt und neu gegenüberzustellen und mit flexible und neugierigen jungen Sängern dem Chorklang verschiedener Epochen auf den Grund zu gehen. Warum schreibt ein Komponist auf diese Weise, was war vorher, was ist seine Herkunft und Inspirationsquelle? Das Erkunden der Musik des 20./21. Jahrhunderts verschiedener Länder ist dabei eine spannende Entdeckungsreise. In Schweden hat die Musik von Bäck und Sandström großen Einfluss auf die dortige Chorszene und beide sind wichtige Repräsentanten der zeitgenössischen Vokalmusik.

3. Warum hast Du genau diese Stücke zusammengestellt?

Folgende Aspekte waren bei der Zusammenstellung ausschlaggebend: Die Form, der direkte Bezug zu Bach und der textliche Inhalt. Alle Stücke sind Motetten, allgemein gesagt also mehrstimmige Vokalwerke mit sowohl homorhythmischen als auch polyrhythmischen Strukturen, in denen geistliche Texte vertont werden. Gleichzeitig ist jedes einzelne der Stücke im Konzertprogramm ein Repräsentant der jeweiligen Epoche, des jeweiligen Personalstil des Komponisten und auch der jeweiligen Vokaltradition des Landes. Trotz der gemeinsamen Form führt dieser Kontrast der Stücke untereinander zu einer klaren Abgrenzung der individuellen Klangbilder. Außerdem nehmen alle Stücke den Bezug auf Bach. Sandström vertont die Texte, die auch Bach in seinen Motetten nutzt, und komponierte ebenfalls sechs Motetten. Bäck schrieb für jeden Sonntag des Kirchenjahres eine a-cappella Motette inspiriert von den wöchentlichen bachschen Kantaten. Mendelssohn als „Wiederentdecker“ nutzt in seiner Vokalmusik ähnliche Parameter wie Bach. Homophone Choralsätze wechseln sich mit polyphonen Fugatostrukturen ab und die Textbetonung bestimmt den Rhythmus der Melodien. Die Choralsätze bei Reger reizen den alten Stil mit romantischen Mitteln, sprich extremer Dynamik und verzweigten Harmonieverläufen, aus. In der Ostermotette nutzt er eine Choralmelodie, die schon in einer Bachkantate zu finden ist. Der Text bildet ein Verbindung der Stücke auf inhaltlicher Ebene. Alle Werke beschreiben markante Stationen von Jesu Wirken. Mein Herz erhebet Gott den Herrn (Magnificat) lobpreist Jesu Geburt an Weihnachten, Jesus tänk pa mig (Jesus denk an mich, wenn du eingehst in dein Reich) ist inspiriert vom Karfreitagsgeschehen, Lasset uns den Herren preisen ist eine Ostermotette. Der prophetische Jesaja-Text Fürchte dich nicht bildet gewissermaßen die Zusage, des göttlichen Beistands, der im Christentum durch Jesu Tod und Auferstehung personifiziert wurde. All diese a-cappella Stücke führen zur Begräbnismotette „Jesu meine Freude“ hin. Somit interpretieren wir das Totengedenken an Allerheiligen als konsequente Schlussfolgerung aus den wichtigsten Episoden von Jesu Wirken und seiner Lehre.

4. Welche Besetzung(en) wird es geben?

Der Großteil der Werke werden a-cappella gesungen, von vier- bis zu 12-stimmigen Sätzen. Besonders bei diesem Programm ist, dass es bei ca. der Hälfte der Stücke immer wieder Solo-Quartette gibt, die sich mit dem gesamten Chor abwechseln. Jesu meine Freude werden wir mit einer Continuo-Gruppe bestehend aus Truhenorgel, Cello und Kontrabass musizieren.

5. Welche Anforderungen stellt das Programm an die SängerInnen und Stimmen?

Einerseits ist da der Wechsel zwischen Singen im Ensemble und Singen im Solo-Quartett. Die Quartette werden bei uns aus dem Chor besetzt, diejenigen Sänger müssen also blitzschnell von Ensembleklang zu solistischer Gesangstechnik und -farbe umschalten. Das verlangt eine kontrollierte und flexible Stimmtechnik. Die Bandbreite des Programms verlangt einen Wechsel der Stimmfarben und Interpretationsfokus beim Wechsel von Epoche zu Epoche. Sandströms Stücke sind dafür bekannt, dass sie den im Chor möglichen Ambitus in Höhe und Tiefe extrem ausreizen. Harmonisch und dynamisch unglaublich farbenreich ist das Vokalwerk von Reger, seine Ostermotette verlangt einen romantisch, vollen Stimmklang, der dynamisch sehr flexibel ist. Mendelssohn schreibt lange Phrasen, die viel Atem brauchen, um ein strahlendes, aber gleichzeitig warmes Klangergebnis zu kreieren. Bäcks freitonales Werk hingegen benötigt einen klaren, glänzenden Stimmklang, um die Dissonanzen deutlich herauszuarbeiten. Bei Bach müssen die Stimmen abschlanken, auch vibratolos singen und vergleichbar einem Streichinstrument artikulatorisch sehr wendig phrasieren können.

6. Welche Anforderungen stellt das Programm an Dich?

Generelle Herausforderung für den Dirigenten ist immer, abzuwägen, wann man dem Ensemble Energie geben muss, wann die Musiker „Hilfe“ brauchen und wann man sie freilässt und gewissermaßen dirigentisch loslässt. Diese Erkenntnis kann erst mit der Erfahrung wachsen. Vieles davon entscheidet sich während der Probenphasen, das ist nicht immer vorhersehbar und macht diese Arbeit unglaublich spannend. Ich habe erst eines der Stücke selbst im Konzert dirigiert, das Programm birgt also ein großes Erfahrungsfeld für mich. Bei einem Konzert mit einer solchen Bandbreite an Stilen und Epochen ist äußerst wichtig, die Interpretation jedes der Stücke vor seinem historischen Hintergrund zu beleuchten und zu versuchen, so die Essenz der Aussage herauszuarbeiten. So haben wir bis jetzt immer die Konzerte des JVEM gestaltet. Es ist dabei jedes mal wieder eine neue Herausforderung, die Literatur besonders den Kapazitäten des kleinen Ensembles anzupassen. Neu ist diesmal, dass wir ein oft aufgeführtes, barockes Werk in den Mittelpunkt des Programms stellen. Bei bekannten Stücken ist es umso schwerer, die „eigene“ Interpretation zu finden, und nicht bloß schon Gehörtes zu kopieren. Gleichzeitig muss man dem Werk treu bleiben, was wiederum besonders bei Bach die Frage der Aufführungspraxis aufwirft.