Als Chor im Theater


Die Produktion Mittelreich an den Münchner Kammerspielen hat zwar aufwändige Probenarbeit mit sich gebracht, aber auch Spaß, Freude und unvergessliche Momente. Altistin Cosima Becker gibt einen Einblick in den Prozess von den Anfangsproben bis zum großen Tag der Premiere.

Gruppenbild

Selig sind nicht nur die, die da Leid tragen, sondern vor allem wir Sängerinnen und Sänger, als wir in den ersten Proben das Brahms-Requiem anstimmen. Bald folgen die szenischen Proben mit der gesamten Crew und ein fünf- bis siebenköpfiges Team sitzt hinter einer Tischreihe und beobachtet uns. Die Arbeit im Theater ist anders. Wir werden nicht wie gewohnt autokratisch von einer Dirigentin geleitet, sondern aufgefordert zu improvisieren – selbstverständlich nicht musikalisch. In den Proben mit den Schauspielern fällt der Unterschied besonders auf. Doch mit jedem Mal werden wir freier und die Schauspieler binden sich an die Musik, welche einzelne Silben oft ins scheinbar Unendliche dehnt.

Neben der wundervollen Musik bringen die Proben bald einen weiteren Höhepunkt mit sich: Wir bekommen unsere Kostüme, so bunt und vielfältig wie wir selbst, aber gleichzeitig homogen. Da watschelt ein Clown mit zu großen Schuhen neben einem Schwein im Bauarbeiter-Kittel und eine Meerjungfrau mit melonengroßen Plastikbrüsten posiert an der Seite eines Prinzen mit Löffeldiadem. Wir haben viel zu lachen, wenn wir uns gegenseitig nur durch die Sommersprossen-Löcher der glotzenden Kindermasken erspähen. Es ist gar nicht so einfach, die uns so sehr vertraute Choraufstellung in diesen Masken zu verwirklichen.

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In den letzten beiden Wochen vor der Premiere schlüpfen wir jeden einzelnen Tag aus unserem Hochschulalltag in die skurrile Bühnenwelt. Die Kostüme werden so angepasst, dass die Hosen auch bei unseren beiden schwangeren Sängerinnen bis zur letzten Vorstellung sitzen. Make-up und Haare werden perfektioniert. Gewöhnt haben wir uns an unsere neuen Looks immer noch nicht so ganz und so entstehen hinter der Bühne – man möchte beinahe sagen – legendäre Selfies und Videos.

IMG-20151123-WA0000Dann ist der große Tag gekommen. Bierbichler persönlich sitzt im Publikum und wir dürfen unsere ganze Bandbreite an Ausdruck und Volumen präsentieren. Unsere Umkleiden sind liebevoll gespickt mit Glücksbringerchen, Schweinegummibärchen von den Damen der Maske, und sogar eine Flasche Augustiner „Bier-Bichler“ ist dabei. Die vielen Proben haben sich ausgezahlt und das Premierenfieber sprudelt in uns auf.

…Bevor wir uns versehen, ist die erste Aufführung auch schon vorbei und weil wir einfach nicht genug vom gemeinsamen Musizieren bekommen, gibt es auf der Premierenparty noch als Zugabe einen eigens arrangierten Steurmann-Jazz-Chor. Trotz einer zeitaufwändigen und teils auch anstrengenden Probenzeit sind wir alle irgendwie ein bisschen traurig, dass wir uns und diese Bühne nur noch zu den Vorstellungen wiedersehen. Aber man munkelt, dass wir im Falle Brahms-Requiem noch nicht den letzten Ton gesungen haben.

– Cosima Becker